Bandscheibenvorfälle - Erschreckende Zahlen und Statistiken

Bandscheibenvorfall - Bandscheibenvorwölbung verschiedene Stadien

René Gräber

Bevor ich zu den erschreckenden Zahlen komme, müssen wir unbedingt ein paar Begriffe klären, die die meisten Patienten in "einen Topf" werfen.

Denn: wenn Patienten von einem „Bandscheibenvorfall“ sprechen, dann muss es sich nicht notwendigerweise auch um einen solchen handeln. Das gilt übrigens auch für die "Diagnosen" mancher Mediziner.

Im deutschsprachigen Raum unterscheiden die Fachleute zwischen dem Bandscheibenvorfall und einer Bandscheibenprotrusion. Bei der Protrusion handelt es sich um eine Art Vorstufe zum Vorfall, bei der eine Vorwölbung vorliegt - so, wie Sie das auch in der obigen Abbildung sehen können.

Beim Prolaps (Vorfall) wird der Faserknorpelring der Bandscheibe mehr oder weniger ganz durchbrochen. Das hintere Längsband dagegen bleibt in der Regel intakt.

Im englischsprachigen Raum scheint die Differenzierung etwas breiter ausgelegt zu sein. Um dies zu veranschaulichen, hier einmal ein interessantes Bild dazu:

Wirbelsäule mit verschiedenen Degenerationen an den Bandscheiben

Von oben nach unten stellt das Bild zunehmend schlechtere Zustände der Bandscheiben dar. Die Bandscheibe mit der Beschriftung "Normal Disc" soll eine normale, gesunde Bandscheibe darstellen.

Danach (darunter) kommt es zu einer Degeneration, danach kommt es zu einer Vorwölbung (= Protrusion, Bulging Disc), dann zu einem Prolaps (Herniated Disc) und schließlich zu einer Extrusion, sprich: Der Faserknorpelring ist vollständig durchbrochen und die Bandscheibe deutlich in der Höhe gemindert. Die letzte Bandscheibe ist nur noch in Ansätzen zu sehen und es haben bereits knöcherne Umbauten stattgefunden. Hier versucht der Körper beide Wirbelkörper miteinander zu verblocken.

Je nach Zustand der Bandscheiben wird der Betroffene verschiedene Symptome haben. Auf der anderen Seite heißt Symptomfreiheit nicht, dass alle Bandscheiben noch wirklich "gesund" sind.

Häufig treten Symptome erst dann auf, wenn eine manifeste Protrusion oder ein Prolaps bereits gegeben sind. Daher ist es besonders schwer, die echten Fallzahlen für Bandscheibenschäden zu bestimmen und statistisch zu erfassen.

Denn: "nur" wenn der der Bandscheibenvorfall auch auf Nerven "drückt" kommt es auch zu den typischen Schmerzen mit Ausfall- und Lähmungserscheinungen.

Ich kenne eine Menge Patienten mit Bildern, bei denen die Bandscheiben so degeneriert aussehen wie in der untersten Bandscheibe zu sehen ist, die über nur sehr geringe oder gar keine Rückenschmerzen klagen.

Deutschland-Zahlen

Ein Versuch einer zuverlässigen Darstellung der Fallzahlen unternimmt das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE).

Unter Diagnosedaten der Krankenhäuser ab 2000 erhält man eine strukturierte Tabelle zu Bandscheibenschäden mit verschiedenen Zusatzerkrankungen in den verschiedenen Bereichen der Wirbelsäule. Hier einmal die bildliche Darstellung der Tabelle (der Screenshot ist leider nicht besser geworden):

 

Die Addition der im Jahr 2000 aufgezählten Fälle ergibt stolze 163.902 (gerundet) Fälle von Problemen der Bandscheiben. Die gleiche Berechnung für das Jahr 2013 ergab knapp 183.143 Fälle. 2017 haben wir 2017 169.178 Fälle.

Bandscheibenschäden 2017

Aufgrund der relativen Beschwerdefreiheit ist jedoch anzunehmen, dass es eine nicht zu unterschätzende „Dunkelziffer“ gibt.

Wie häufig wird operiert

Laut Welt.de (welt.de/wissenschaft/article1340478/Bandscheiben-Ops-sind-haeufig-ueberfluessig.html) „kommt jeder fünfte Patient unters Messer“.

Das sind laut Welt.de-Statistik 30.000 Bandscheibenoperationen im Jahr. Inzwischen werden immer mehr Stimmen laut, die die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Operationen in Frage stellen. Ich hatte dazu ebenfalls ausführlicher berichtet: Unnötige Operationen? Das schulmedizinische Lottospiel.

Die Webseite des Zentrums für Physiotherapie in Bielefeld (zfp-bielefeld.de/bandscheibenvorfall/) spricht von über 30 Prozent der Deutschen, die „irgendwann einen Bandscheibenvorfall erleiden“, was dann fast 30 Millionen Betroffene ergeben würde. Das würde sich dann mit meiner Hypothese zur Dunkelziffer decken.

Wobei die Dunkelziffer knapp 100 Mal höher ausfallen würde wie die weiter oben ermittelte Zahl von 316 Tausend.

Weiter erfahren wir auf dieser Seite, dass nicht 30.000, sondern im Jahr 2009 160.000 Bandscheibenoperationen durchgeführt worden sind. Tendenz steigend. Und wir erfahren noch, dass 20 Prozent aller Frührenten-Anträge wegen Bandscheibenvorfälle eingereicht werden.

Glauben wir dem „Spiegel“ (spiegel.de/gesundheit/diagnose/rueckenschmerzen-zu-viele-operationen-bei-bandscheibenvorfall-a-934529.hhtml), dann meldet das Statistische Bundesamt für das Jahr 2012 98.000 Operationen. Und das entspräche einem Zuwachs von 17 Prozent gegenüber dem Jahr 2015.

Wir hatten aus den Zahlen des GBE eine Steigerung von 14 Prozent über 14 Jahre ermittelt, die sich nicht allzu weit von diesen 17 Prozent befinden. Die 14 Prozent galten allerdings für die verschiedenen Formen der Erkrankungen an der Bandscheibe, nicht für die Zahl der Operationen.

Aber 14 Prozent hier und 17 Prozent mehr Operationen ergeben ein fast synchronisiertes Bild für diesen Bereich. Leider gibt es keinen exakten Hinweis oder Link zum Statistischen Bundesamt seitens des Beitrags, der die Angabe nachvollziehen lässt.

Meine eigene Suche nach Zahlen hier brachte folgendes Ergebnis:
Insgesamt gab es für das Jahr 2013 15.818.274 Operationen.

Operationen an der Lendenwirbelsäule und weiter unten liegende Bereiche (Kreuz- und Steißbein) nahmen Platz 4 ein = 275.290. Das sind aber nicht notwendigerweise alles Bandscheibenoperationen, da weder Kreuzbein, noch Steißbein Bandscheiben enthalten.

Etwas weiter unten in der Rangliste entdecken wir „Exzision von erkranktem Bandscheibengewebe“ mit 155.244 Operationen in dem besagten Jahr.

Wie kommt der „Spiegel“ auf 90.000 OPs und das aus dieser Quelle, die alleine schon bei dieser Spezial-OP auf stolze 155 Tausend kommt?

Was wir bei den bundesdeutschen Statistikern wiederfinden, das sind exakt die gleichen Zahlen des GBE für das Jahr 2013 (Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen inKrankenhäusern (einschl. Sterbe- und Stundenfälle)), aber keine „verspiegelten“ Zahlen von 90.000.

Zahlen aus dem Ausland

Zahlen zu diesem Thema aus dem Ausland zu bekommen scheint noch schwieriger zu sein. Viele Studien und Statistiker beziehen sich auf Sonderfälle oder spezialisierte Themen in diesem Bereich.

Eine einzige Studie mit einer etwas wagen Aussage habe ich dazu  dann doch finden können: Sciatica: a review of history, epidemiology, pathogenesis, and the role of epidural steroid injection in management.

Die Autoren schätzen eine Inzidenz über die gesamte Lebenszeit von 13 bis 40 Prozent der Bevölkerung.

Allerdings sind die meisten Fälle keine chronischen Fälle und heilen selbst spontan aus, beziehungsweise sind mit Physiotherapie etc. gut zu behandeln.

Eine Arbeit aus dem Jahr 2006 (Prevalence of Herniated Intervertebral Discs of the Cervical Spine in Asymptomatic Subjects Using MRI ScansA Qualitative Systematic Review) führte eine Literaturrecherche durch.

Hier ermittelten die Autoren Arbeiten, die symptomfreie Probanden untersucht hatten, dass 20 Prozent der Untersuchten im Alter von 45 bis 54 Jahren, 35 Prozent von 55 bis 64 Jahren und 57 Prozent älter als 64 Jahre Bandscheibenvorfälle und -protrusionen zeigten.

Andere Autoren berichten von 10 Prozent unter 40 Jahren und 5 Prozent älter als 40 Jahre mit Bandscheibenvorfall. Eine Vielzahl von weiteren Arbeiten wird in dieser Übersichtsarbeit zitiert, bei der jede ein anderes Ergebnis zu berichten weiß.

Zum Schluss resümieren die Autoren der Literaturrecherche, dass bei Personen unter 40 Jahren eine Prävalenz für Bandscheibenschäden von 3 bis 10 Prozent anzunehmen ist. Diese erhöht sich mit dem Lebensalter auf 20 Prozent bis zum 54. Lebensjahr.

Durchschnittlich erhöht sich die Prävalenz von 5 Prozent auf 35 Prozent zwischen dem 40. und 64. Lebensjahr. Ob diese Zahlen wirklich belastbar sind, wage ich zu bezweifeln, da sie aus einem Pool von unterschiedlichen und widersprüchlichen Ergebnissen stammen.

So spricht eine andere Arbeit (Herniated lumbar disc) von nur 1 bis 3 Prozent Prävalenz in Finnland und Italien.

Was sicherer zu sein scheint, ist die Beobachtung, dass Männer zweimal so häufig betroffen sind als Frauen. Menschen mit Bandscheibenschäden im Alter zwischen 25 und 55 Jahren haben diese zu 95 Prozent im unteren Lendenwirbelbereich.

Bandscheibenschäden im darüber liegenden Bereich sind eher bei Menschen zu erwarten, die 55 Jahre und älter sind.

TAG+MED - facts about herniated discs berichtet, dass in einer Gruppe von 45-Jährigen, die nie an Rückenschmerzen zu leiden hatten, eine Untersuchung durch MRI Folgendes ans Tageslicht brächte:

  • 38 Prozent hätten erste Vorwölbungen
  • 37 Prozent Protrusionen
  • 11 Prozent Extrusionen mit Durchbruch durch den Knorpelring
  • 4 Prozent durch Prolaps beziehungsweise Extrusion bedingte Kompression des Nervengewebes.

Insgesamt, so glaubt die Webseite, haben 60 Prozent der symptomfreien Untersuchten eine Bandscheibenwölbung oder schlimmer.

Positiver Befund, aber falscher Fehler

Die andere Seite der Medaille ist ein positiver Befund, der sich aber als „schulmedizinische Ente“ erweist. Und da scheint es genau so bunt und lustig zuzugehen wie bei der Beurteilung, wie hoch die Inzidenz und Prävalenz von Bandscheibenschäden ist.

Unter Abnormal MRI in Pain-Free People werden eine Reihe von Studien zitiert, die dies belegen, und in einer Übersichtstabelle zusammengefasst:

 

Der Aussage dieser Tabelle zufolge sahen Boden et al. 20 von 100 Befunden mit einem positiven Befund für eine Bandscheibenvorwölbung als Fehldiagnose an.

Jensen et al. ermittelten falsch positive Befunde für Vorwölbungen von 52 Prozent, Prolaps von 27 Prozent und 1 Prozent immerhin noch für Extrusionen.

Insgesamt wurde bei 64 Prozent der positiven Befunde eine falsche Diagnose bezüglich der Pathologie der Bandscheiben erhoben. Vier weitere Autorenteams werden noch aufgeführt, die ebenfalls zu relativ unterschiedlichen Zahlen kommen.

Teilweise rühren die unterschiedlichen Ergebnisse daher, dass, wie auch angegeben, Patientenkollektive untersucht worden waren, die ein erhöhtes Risiko für Bandscheibenschäden haben, da sie im Beruf schwer heben müssen, einer primär sitzenden Arbeit nachgehen, Vibrationen regelmäßig ausgesetzt sind und so weiter.

Der ermittelte Durchschnitt der Ergebnisse, Boos et al. und Wood et al. ausgeschlossen, ergab, dass jeder dritte Befund für eine Vorwölbung der Bandscheibe eine Fehldiagnose war. 29 Prozent der ermittelten Protrusionen waren ebenfalls keine.

Extrusionen als denkbar auffälligste Form der Bandscheibenschäden wurden im Schnitt zu 9,5 Prozent falsch diagnostiziert. Und die gesamte Pathophysiologie wurde bei 60,5 Prozent der Patienten falsch eingeschätzt.

Nicht einmal die Nervenprobleme, die sich aus einem fortgeschrittenen Bandscheibenschaden entwickeln können, waren vor den Fehldiagnosen sicher, zumindest in 4 Prozent der Fälle.

Auffällig ist die Ähnlichkeit der Ergebnisse mit denen aus der oben zitierten TAG-MED Webseite.

Auch hier scheint die Konfusion die Oberhand zu haben: Während man bei TAG-MED den Ergebnissen der MRI-Untersuchungen Glauben zu schenken scheint, werden auf der zuletzt diskutierten Seite die Ergebnisse als „falsch positiv“ eingeordnet.

Damit erhebt sich die Frage, sind alle positiven Befunde als falsch zu werten, wenn der Patient vollkommen symptomfrei ist? Dann würde etwas mit der Diagnostik nicht stimmen können.

Oder gibt es das wirklich, dass Bandscheibenschäden vom Patienten unbemerkt bleiben, über lange Zeit, die später einmal anscheinend plötzlich symptomatisch werden?

Wenn ja, ab wann muss der Arzt mit Tat und Rat eingreifen, um dieses „Plötzlich“ zu verhindern?

Fazit

Es bleibt schwierig. Es bleibt konfus. Und die Zahlen, die man präsentiert bekommt, spiegeln eigentlich weniger die schulmedizinische Realität wider, sondern eher eine evidenzbasierte Verwirrung, die dem ganzen System zugrunde zu liegen scheint.

Denn die Schulmediziner scheinen noch nicht einmal zu wissen, ob ihre Diagnosen zutreffen oder nur falsch positiv sind, wenn sie etwas gefunden haben. Und wenn sie falsch positiv sind, dann sind 30 und 60 Prozent je nach Schädigung kein Ruhmesblatt für die Zunft.

Quelle Bild 1: 123rf.com - Roberto Biasini
Quelle Bild 2: 123rf.com - ANATOLY SHEVKUNOV

 

 

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